„Einfach umwerfend gut.“
Rheinische Post
Toni Ming Geiger ist auf der Suche nach Freiräumen. Als Pianist und Konzertdesigner übertritt er die Grenzen der Bühne und lädt das Publikum ein, ihm zu folgen: hinaus ins Weite, wo der Horizont sich öffnet. »Ich liebe es, Musik zu machen. Sie ist meine Muttersprache«, sagt er, »aber ich brauche auch die anderen Wege, um mich auszudrücken.« Jenseits ausgetretener Pfade entwickelt er interdisziplinäre Projekte, verbindet die Musik mit Tanz, Literatur, Film und anderen Künsten. Neue Spielräume erforscht er auch als Dozent für Lied und Konzertgestaltung an der Hochschule für Musik und Tanz in Köln. Mit seinen Projekten ist er auf den Bühnen der Carnegie Hall, des Pierre-Boulez-Saals Berlin und der Kölner Philharmonie zu erleben.
Ein weißer Lieferwagen, abgestellt auf einem großen Platz mitten in München. Durch die geöffnete Hintertür klettert man hinein und landet in einem winzigen, mit Stoff ausgekleideten Raum. »Ich bin der Welt abhanden gekommen« von Gustav Mahler erklingt, interpretiert von Anna Lucia Richter und Ammiel Bushakevitz, begleitet vom Video des Tänzers Juan Kruz. Nur zehn Minuten dauert die Installation, doch das genügt, um in eine völlig andere Sphäre einzutauchen. „Refugium“ ist ein musikalischer Zufluchtsort im Trubel der Metropole, konzipiert von Toni Ming Geiger für das HIDALGO Festival, dessen Musikalischer Direktor er 2023 war. Er gehört auch zu den Mitgründern des gleichnamigen Kollektivs: Im Team arbeiten, Geschichten erzählen und ergebnisoffene Prozesse begleiten, dafür brennt er. »In der klassischen Musik wird man dazu erzogen, Erwartungen zu erfüllen.« Toni Ming Geiger hingegen liebt es, Erwartungen zu brechen.
„Schon seit einigen Jahren ist mir seine Arbeit wegen ihrer Unabhängigkeit und Innovativität aufgefallen. […] In der Businesswelt würde man ihn den ‚kreativen Kopf der Branche‘ nennen.“
Eric Schneider, Pianist
1990 in München geboren, beginnt er im Alter von sechs Jahren Klavier zu spielen. Schon früh entwickelt er eine hartnäckige Disziplin, übt stundenlang und nimmt bald Unterricht beim Bonner Pianisten Andreas Frölich, dem er als Jungstudent an die Hochschule für Musik und Tanz Köln folgt. Seine ganze Jugend hindurch arbeitet er zielstrebig, spielt Konzerte, gewinnt Preise, etwa den Bechstein-Sonderpreis des Deutschen Musikwettbewerbs. Seine Studien in Köln und Paris absolviert er unter anderem bei Pavel Gililov und Ulrich Eisenlohr.
Nicht nur Jurys und Lehrende, auch Kolleg:innen schätzen seinen runden, ausgefeilten Klang, der »so wandelbar und kreativ ist wie seine Persönlichkeit«, sagt die Sopranistin Elena Harsányi, seine langjährige Duopartnerin. Auf der menschlichen Ebene pflegt er enge Zusammenarbeiten, so auch mit der Mezzosopranistin Marie Seidler oder dem Bariton Konstantin Paganetti. Künstlerisch hat er die Fähigkeit, sich immer wieder neu zu erfinden.
„Ein außergewöhnlicher Musiker. Seine Ausdruckskraft, sein Farbenreichtum, sein Eigensinn und seine technische Souveränität machen ihn zu einem idealen Partner.“
Ingeborg Danz, Sängerin
Mit Anfang zwanzig entscheidet Toni Ming Geiger: Schluss mit dem Solistendasein! »Ich wollte nicht mehr alleine diesen Druck tragen und den Urteilen von außen ausgeliefert sein.« Damals konzentriert er sich zunehmend auf die Kammermusik, erschließt sich den Bereich des Kunstliedes und findet andere Möglichkeiten, selbst schöpferisch tätig zu werden. Für seinen Bachelorabschluss konzipiert er ein Konzert mit Dramaturgie und Lichtregie, Tanz, Poesie, Kammermusik und immersiven Videos. »Hybriden – Musik zwischen Ost und West« ist das erste in einer Reihe interdisziplinärer, vielfach ausgezeichneter Programme.
Mit seinen innovativen Konzepten reüssierte Toni Ming Geiger vor allem in Akademien und Stipendienprogrammen: »Wo ich als ganze Person auftauchen kann, bin ich viel besser als in Wettbewerben, wo ich nur als Pianist auftreten kann.« Für die »Académie Orsay-Royaumont« kuratierte er ein Programm im Musée d’Orsay Paris. Im Carnegie Hall SongStudio war er ebenso Stipendiat wie beim Britten-Pears Young Artist Programme und der Heidelberger Frühling Lied Akademie, wurde gefördert vom »Cusanuswerk«, der Akademie Concerto21 und vielen weiteren Institutionen.
„Distinguishes himself in preparation, adaptability, musicality and imagination.“
Thomas Hampson, Sänger
Im Dazwischen, auf der Schwelle zwischen den Kunstformen, Epochen und Kulturen fühlt sich Toni Ming Geiger am wohlsten. »Ich empfinde es als Reichtum, beide Kulturen in mir zu tragen«, sagt er, dessen Mutter in China klassische Geige gelernt und dessen Vater, ein Sinologe, über klassische Musik in dem asiatischen Land geschrieben hat.
Aus dieser Quelle schöpfte er auch für das hochgelobte Wandelkonzert ZEHNTAUSEND KILOMETER über die Seidenstraße, das er 2023 für den Heidelberger Frühling entwarf. Menschen in Bewegung bringen, dem Publikum nahekommen: Diese Begegnungen sind dem Musiker ein großes Anliegen, besonders seit der Pandemie, in der er auf den digitalen Raum ausweichen musste.
In dieser Zeit entdeckt er das Gehen für sich und steigt für ein halbes Jahr ganz aus, macht Pause, erkundet eine andere Lebensweise. Zurückgekehrt ist er mit neuen Ideen und Energie für seinen ganz persönlichen Weg, jenseits herkömmlicher Bewertungsraster Kunst zu schaffen.
Text: Marie König / Musik.Journalismus.Kollektiv
Fotos & Videos: © Sebastian Wagner / Heidelberger Frühling / Max Ott für HIDALGO Festival / privat / studio visuell für Heidelberger Frühling